Ihre radikale NDC-Strategie musste American Airlines, wie berichtet, zurücknehmen. Grundsätzlich aufhalten lässt sich der Trend aber wohl nicht: Immer mehr Fluggesellschaften treiben ihren Vertrieb via NDC voran. Über Probleme und mögliche Lösungen.
Als "Vorteil für Airlines und Kunden" preisen die Fluggesellschaften seit vielen Jahren die New Distribution Capability (NDC). Erstere sparen GDS-Gebühren und können etliche Zusatzleistungen anbieten. Letzteren werden "maßgeschneiderte Produkte" versprochen.
Bislang scheint diese Botschaft aber weder bei Agenturen noch bei Firmenkunden angekommen zu sein. Im Gegenteil: Gerade Travel Management Companies (TMC) befürchten, Fluggesellschaften könnten NDC als "Trojanisches Pferd" nutzen, um ihren Direktvertrieb an den Reisebüros vorbei zu fördern. Travel Managern wiederum bereitet das neue Format aus mehreren Gründen Probleme.
Über Herausforderungen und mögliche Lösungen in der NDC-Debatte hat fvw|TravelTalk mit Oliver Meinicke aus der Regionalleitung Bayern des Verbands Deutsches Reisemanagement (VDR) gesprochen.
fvw|TravelTalk: Herr Meinicke, nach dem Schiffbruch, den American Airlines mit ihrer radikalen NDC-Strategie erlitten hat, steht das Thema wieder im Fokus der Debatte. Was genau sind eigentlich die Hauptkritikpunkte an dem Datenformat aus Sicht der Firmenkunden?
Oliver Meinicke, VDR: Zunächst einmal gibt es nach wie vor keine einheitliche Stimme beziehungsweise Interessenvertretung, die seitens der Firmenkunden gegenüber den beteiligten Parteien bei der Einführung von NDC auftritt. Hier müsste im besten Fall mit der gleichen Stimme bei den beteiligten Fluggesellschaften, den Geschäftsreiseanbietern (TMC) und den Anbietern der Buchungssoftware (OBE) für gemeinsame Lösungen im Sinne der Travel Manager geworben werden.
Aber warum ist das nötig, also warum gestaltet sich die NDC-Einführung eigentlich so problematisch?
Die Komplexität liegt im Setup von NDC. Es gibt nur sehr geringe Schnittmengen zwischen den einzelnen NDC-Setups, und somit steht jeder Travel Manager vor der Herausforderungen, die für sich passende Lösung in dem eigenen Setup von Airline, TMC und OBE zu finden. Hierbei ist der Travel Manager abhängig vom Entwicklungsstand der TMC und der OBE bezüglich der "Verdaubarkeit" des NDC-Inhalts der jeweiligen Airline. NDC schafft somit im ersten Schritt und noch auf absehbare Zeit eine zusätzliche Komplexität auf Travel-Management-Seite.
Lohnt die NDC-Implementierung den Aufwand?
Wie sollten Firmenkunden reagieren?
Travel Manager werden auf Grund unterschiedlicher Aspekte für sich entscheiden müssen, ob die NDC-Implementierung einer Fluggesellschaft im eigenen Kontext den Aufwand wert ist. Zu den Aspekten, die dabei zu beachten sind, gehören Punkte wie Continous Pricing der Airline, Vermeidung einer GDS-Gebühr bei reiner NDC-Buchung oder der Servicing-Aspekte der TMC bei Umbuchungen.
Anbieter wie Ypsilon, Spotnana und Co werben ja damit, dass sie NDC für Firmenkunden problemlos buchbar machen würden. Ist das wirklich so? Und wenn ja, warum sind diese Techniken dann nicht längst verbreiteter?
Bei NDC-Angeboten am Markt muss man sich als Travel Management zunächst darüber Gedanken machen, ob der Anbieter überhaupt in das eigene Öko-System an bestehenden Tool-Anbietern und darüberhinaus auch zur Struktur der eigenen Reisenden passt. Neulinge im NDC-Bereich sind häufig nicht so stark im Offline-Buchungsbereich aufgestellt wie traditionelle TMC. Hat man etwa einen großen Anteil an Offline-Buchungen oder gar VIP-Buchungen kommt dieses Konstrukt schnell an seine Grenzen.
GDS ist wie das traditionelle Kaufhaus
Aber auch die GDS, also die klassischen Reservierungssysteme, haben doch inzwischen NDC-Plattformen. Stellen diese keine Lösung dar?
Angebote der GDS zum Thema NDC zielen darauf, den eigentlich GDS-unabhängigen Direct-Content der Airlines wieder in das Konstrukt einer PNR zu bringen. Dies hilft am Ende auch dem Travel Management, da die TMC somit wieder in der Lage ist, ein Servicing des NDC-Contents sicher zu stellen. Abhängig vom Buchungsverhalten der Firmen sind die Travel Manager dabei weiterhin mehr oder weniger stark an das Offline-Servicing durch die TMC gebunden.
Auch zu bedenken ist, dass bei der Nutzung einer GDS-gebundenen NDC-Plattform gegebenenfalls Zusatzgebühren der Fluggesellschaften für genau diese Nutzung anfallen. Diese Zusatzgebühren sind dann zwar nicht so hoch wie die Gebühren einer reinen GDS-Nutzung – aber sie sind eben auch nicht auf dem Niveau einer reinen NDC-Nutzung.
Und hinzu kommt noch: Als Travel Manager ist man in diesem Fall abhängig von der Entwicklungsgeschwindigkeit der jeweiligen NDC-Plattform bezüglich der Anzeige von NDC-Spezifika der jeweiligen Fluggesellschaft.
Wie lauten Ihre Prognosen oder Hoffnungen bezüglich NDC für die Zukunft?
Direktvertrieb ist dort eine sinnvolle Lösung, wo die Technik und das Konsumenten-Verhalten diese Lösung zulassen. Ich denke als Vergleich an das Beispiel Amazon, wodurch der Einzelhandel stark verändert wurde. Es gibt hierbei – wie oftmals – Gewinner und Verlierer. Wird ein Marktplatz wie das GDS oder, um beim Amazon-Vergleich zu bleiben, ein traditionelles Kaufhaus durch einen neuen Vertriebsweg abgelöst, kann dies zu einer Verdrängung führen.
Aber schadet das am Ende dem Konsumenten, in diesem Fall also dem Firmenkunden?
Wichtig ist es, den Konsumenten einen zuverlässigen Kanal zu bieten, der seinen Anforderungen gerecht wird – im Blick beispielsweise auf Distribution, Prozesslandschaft und Fürsorgepflicht. Ich denke daher, dass es auf lange Sicht eine Alternative geben wird zum traditionellen GDS und zwar in Form eines "Marktplatzes". Ob dies GDS-gebundene NDC-Kanäle sein werden oder Anbieter im Bereich der Travel Technology/Travel as a Service, bleibt abzuwarten.
Soweit ist es noch nicht. Was raten Sie Travel Managern bis dahin?
Aktuell würde ich Travel Managern empfehlen, an Hand der Relevanz einer NDC-fähigen Fluggesellschaft sorgfältig abzuwägen, ob die Anbindung des NDC-Inhalts den Aufwand der Implementierung wirklich rechtfertigt. Wenn die Antwort "Ja" lautet – wobei der Business-Case unbedingt gerechnet werden sollte –, dann sehe ich als nächsten Schritt die Involvierung der TMC des Unternehmens und des zuständigen OBE-Anbieters.
Als wesentliche Forderung sehe ich die Schaffung von Transparenz im Umfeld der NDC-Fähigkeit von relevanten Anbietern und die Schaffung von Foren, um sich untereinander auszutauschen.
(Text: Oliver Graue, fvw | TravelTalk)